Ein Sportcoach, sein Buch und die Ultracyclingszene
Mindestens im deutschsprachigen Raum seid ihr wohl nicht dran vorbei gekommen:
Das Buch "Ultracycling & Bikekpacking: Alles was du wissen musst." war plötzlich allgegenwärtig auf social media, podcasts etc.
Interessant, denn die Ultracycling Szene und Bikepacking sind 2 Nischen, die zusammen wahrscheinlich eine doch SEHR spitze Zielgruppe.
Das jemand ein Buch in vielen Wochen Arbeit darüber schreibt und dazu noch ein paar der größten Athleten des Sports zur ihren Erfolgsgeheimnissen und Tricks befragt hat (Christoph Strasser, James Hayden, Jochen Böhringer um nur ein paar zu nennen.), ist da doch recht beeindruckend.
Just in: Das Buch wird auf Englisch übersetzt. Es gibt eine Kickstarter Kampagne um das ganze zu finanzieren. Spätestens nach dieser Nachricht war es doch schwer das Buch zu ignorieren und ich fragte mich: Wer ist denn eigentlich dahinter? Selbsternannter Experte oder wirklich Ultracycling und Bikepacking Guru?
Gesagt, getan: Stefan Barth war schneller damit meine Fragen zu beantworten, als wir einen Powernap machen können. Im Interview lernt ihr wer Stefan ist, wo er her kommt und bekommt ein paar kleine Einblicke in das Buch, die euch vielleicht inspirieren das komplette Buch zu lesen und euer "Game" im Ultracycling und Bikepacking auf's nächste Lever zu heben!
Stefan, du hast vor kurzem ein sehr umfangreiches Buch über das fahren sehr langer Distanzen auf dem Fahrrad (Ultracycling) und Bikepacking herausgebracht. Also wenn ich ehrlich bin, hab ich vorher noch nicht von dir gehört. Wer bist du denn und wie hast du dir jetzt das Wissen über unseren Sport angeeignet?
Anscheinend bin ich bis jetzt nicht genug in der Gravel Szene unterwegs gewesen. Das Wissen über den Sport ist zum einen Teil meines Berufs, da ich als Medical Fitness Coach arbeite und im Rahmen dessen ebenso Ausdauerathleten betreue. Zum anderen hat es mich im Laufe der Zeit selbst immer mehr auf die Langstrecke gezogen. Vom Triathlon kommend, habe ich zuerst diverse 24-h Rennen auf dem Rennrad in Deutschland und Österreich bestritten. Anschließend kamen Ultracycling Distanzen mit Support Crew und schlussendlich bin ich mittlerweile hauptsächlich im Bikepacking Modus aktiv.
Ultradistance bikepacking ist jetzt eher eine brutal kleine Nische. Du wirst wohl eher nicht erwarten, dass das Buch dir als Bestseller den frühzeitigen Ruhestand finanziert. Was ist dein Antrieb und wie bist du an das ganze herangegangen?
Davon ist in der Tat nicht auszugehen. War aber natürlich auch nie meine Motivation. Mir selbst fiel es am Anfang recht schwer meine Herangehensweise auf der Langstrecke zu professionalisieren und vor allem auch effizient zu gestalten. Denn leider haben wir alle nur begrenzt Zeit zur Verfügung. Im Triathlon gibt es in Bezug auf Training und Wettkampfvorbereitung unzählige Lektüre. Im Ultracycling und Bikepacking hingegen nahezu nichts. Zu Beginn versuchte ich deshalb möglichst viel bei Events von erfahrenen Teilnehmern abzuschauen. Fand dies aber recht mühselig und auch schwierig, da es primär ein Erfahrungsaustausch ist. Es fehlte zum einen die Fundierung und zum anderen waren alle Informationsmöglichkeiten wahnsinnig dezentral. Also war die logische Konsequenz diese Lücke in der Literatur zu füllen. Mit einem Buch, das die wirklich relevanten Themen beleuchtet. Denn in welchem Radsport- oder Triathlonbuch werden schon Themen wie Schlafentzug, die Wirkungsweise von Koffein oder die Sitzposition für endlos lange Rennen betrachtet?
In deinem Buch hast du viele Charaktere aus dem Bereich Ultra Distance Bikepacking interviewt. Unter anderem James Hayden, Christoph Strasser aber auch Jochen Böhringer. Wie hast du dir deine Interviewpartner ausgewählt und was war das ungewöhnlichste, was dir von ihnen als Wissen weitergegeben wurde?
Grundsätzlich habe ich versucht möglichst vielfältige Interviewees zum Mitmachen zu bewegen. Denn eine Sache, die ich an der Langstrecke liebe, ist das hier alle Bereiche des Radsports zusammentreffen. Egal ob Rennrad, Gravel oder Mountainbike. Entsprechend war das eines meiner Auswahlkriterien. Und ebenso habe ich versucht den Supported und den Bikepacking Bereich abzudecken. Denn auch hier kann jede Menge voneinander gelernt werden. In der Tat war das eine meiner Erkenntnisse: Diese beiden Szenen sind bis jetzt viel zu wenig vernetzt. Wie kann es sein, dass sich die Sieger der letzten Jahre des RAAM und des TCR nicht gegenseitig kennen?
Ansonsten hat mich nahezu jedes Interview an irgendeiner Stelle überrascht. Angefangen vom scharfen Mundwasser, das Christoph Strasser zum Wachbleiben nutzt; über die Tatsache, dass Lael Wilcox selbst das Transamerica Bikerace ohne Sitzpolster gefahren ist; bis hin zu Jochen Böhringers Erfahrung das Hope1000 auf einem geliehenen MTB der 90er zu gewinnen.
Du musst unglaublich viel Zeit mit Recherche verbracht haben und es gibt gerade eine Kickstarter Kampagne mit der du das Buch auch in Englisch heraus bringen möchtest. (Ja, das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, liebe Leser.) Was hast du über die Szene und Community gelernt und was glaubst du, wie sich das ganze Thema Ultra Distance jetzt entwickelt? UCI Bikepacking Series?
Die Szene wächst enorm, so viel steht fest. Und wahrscheinlich werden die Startfelder dadurch immer weiter auseinander gehen in Bezug auf die Leistungsfähigkeit. Aus meiner Sicht ist dies aber überhaupt nicht schlecht. Ich hoffe lediglich, dass wir diese Entwicklung auch bei den Events sehen werden. Sprich, es gibt coole Formate für Einsteiger aber auch sehr kompetitive Veranstaltungen für Spitzensportler. Die ganze Bandbreite des Sports eben. Die UCI lässt dabei hoffentlich noch möglichst lange ihre Finger aus dem Spiel. Aber selbst dann, am Ende hat es die Szene selbst in der Hand welche Veranstaltungen abgefeiert und unterstützt werden.
Jetzt sollen natürlich alle dein Buch lesen, aber was würdest du einem Anfänger mitgeben der anfangen möchte bikepacken zu gehen und wie unterscheidet sich deine Antwort zu einem erfahrenen Bikepacker, der sein erstes Ultrarennen fahren möchte?
Mein Rat zu Beginn ist immer in sich selbst zu investieren. Als Jugendlicher habe ich meine ersten Mehrtagestouren gemacht – nahezu ohne passendes Equipment. Derzeit sieht man das Gegenteil, viele sind offensichtlich overequipped. Daher lieber nicht so sehr versuchen die optimalen Ausgangsvoraussetzungen zu schaffen, sondern stattdessen einfach loslegen. Am Anfang einfach mal den ersten Overnighter fahren, keine großen Kilometerziele setzen, und einfach versuchen unterwegs zu sein.
Wer sich beim Bikepacking schon wohl fühlt und nun mal eher in den „Rennmodus“ schalten möchte, dem empfehle ich vor allem die Pausenzeiten im Blick zu haben. Am Anfang ist dies der wohl größte Hebel. Zum Beispiel mit der richtigen Schlafstrategie oder der Verbesserung der Schmerztoleranz lassen sich sehr schnell große Zeitersparnisse erzielen. Anschließend kann dann die Fitness angegangen werden.
Bei welchen Events sehen wir dich dieses Jahr? Gibt es andere Events wo man dich dieses Jahr treffen kann?
Mein erstes Rennen wird das Mittelgebirge Classique sein. Im Sommer steht dann der nördliche Teil des European Divide Trail an. Letztes Jahr wollte ich diesen eigentlich vollständig fahren, was am Ende jedoch leider zeitlich nicht geklappt hat. Daher bin ich „nur“ von Hamburg nach Portugal gefahren. Nun gilt es den Rest von Hamburg nach Norwegen nachzuholen.
Ansonsten bin ich Ende Mai beim Gravity Bikefestival, wo ich einen Workshop rund um das Thema Schmerzwahrnehmung und Akupressur gebe. Und bestimmt ergeben sich noch die ein oder andere Möglichkeit ein kleines Event einzustreuen.
Wie gehts jetzt weiter? Was sind deine neuen Ziele, nachdem das Buch geschafft ist? Gibt es die chance auf ein zweites Buch?
Momentan liegt der Fokus auf der Übersetzung. Das Buch kam in der Community sehr gut an. Insbesondere die bis dato wohl einzigartige Verknüpfung einer sportwissenschaftlichen Herangehensweise mit vielen praktischen Erfahrungen. Daher soll dieses Wissen nun natürlich auch zugänglich sein. Der deutschsprachige Raum ist ja doch sehr begrenzt.
Ein zweites Buch ist tatsächlich in der Planung. Allerdings eher in meinem beruflichen Kontext als Medical Fitness Coach – darin wird es vor allem um das Lösen akuter Verspannungen gehen. Also für Radsportler in jedem Fall auch interessant.